System der Verantwortungslosigkeit: anschaulich |
Veröffentlicht von Textinitiative am 29.08.2011 |
In verschiedenen bisher übersetzten Beiträgen (so etwa im Text von Takahashi Tetsuya, oder im demnächst folgenden Text von Sakai Naoki) ist immer wieder die Rede vom "System der Verantwortungslosigkeit" - ein Begriff, den einst der Politik- und Ideenhistoriker Maruyama Masao geprägt hat Ein besonders anschauliches und zumindest mich erschütterndes Beispiel zeigt die folgende Youtube-Sequenz, die ich von der (u.a.) Manga-Zeichnerin Marianna Poppitz zugeschickt bekommen habe (vielen Dank!):
http://www.youtube.com/watch?v=rVuGwc9dlhQ&feature=player_embedded
(von dort führen weitere Links auf Sequenzen, die auch erklären, wer da im Posium saß)
Es ist dies die Pointe einer etwa zweistündigen Zusammenkunft von Vertretern der Regierung bzw. Bürokratie aus Tokyo mit Bewohnern von Fukushima/der Präfektur - letztere fordern Aufklärung über die Strahlensituation und: gleiche Behandlung wie auch andere Bürger des Landes. Man zähle einmal mit, wie oft allein in dieser knapp 6-minütigen Sequenz von ersteren geäußert wird, das falle nicht in ihr Ressort bzw. dafür seien nicht sie verantwortlich...
Schon 1977 verwies Robert Jungk in seiner nach wie vor lesenswerten und erhellenden Anti-AKW-Schrift "Der Atomstaat" (1) auf die Rolle der Kernkraft bei der "Entwicklung vom Rechtsstaat zum totalitären Atomstaat", auf das dafür erforderliche Zusammenwirken von
"Großindustrie", "Großstaat" und "Großwissenschaft". Jungk zeigt anhand der Atomindustrie-Entwicklung in Frankreich, der BRD, der USA, punktuell auch in Japan, wie sehr es für die Aufrechterhaltung der Industrie eben gerade jenes Aspekts von "Staat" bedarf, der nicht nur die Technik selbst "unter Kontrolle" bringen will/muß (was nie ausreichend gelingt), sondern auch auf effiziente "Menschenkontrolle" angewiesen ist. Diese bedeute in jedem Fall Einschränkung der Freiheiten und Rechte, nicht nur mittels der vielen Zäune um AKW- oder Atommüllanlagen (die nicht nur/weniger die Bürger vor den Anlagen als vor allem die Anlagen vor den Bürgern schützen sollen), sondern auch mit Hilfe neuer Sozial- und Psychotechniken. Worüber bei Jungk - vor Tschernobyl und Fukushima - hingegen noch wenig zu lesen ist, sind Erfahrungen, wie sich Staat/Bürokratie, Politik, Energieindustrie, Medien und auch die "Großwissenschaft" (das, was kürzlich Ueno Chizuko oder auch Sakamoto Ryûichi (2) als das "den-kan-sei-gaku-hô-"Pentagon" 電官政学報の「ペンタゴン」bezeichnet haben) dann als "machtlos" gerieren ("Das war nicht vorauszusehen!") und sich aus der Verantwortung stehlen, wenn es zum GAU gekommen ist. Wie gesagt, diese Sequenz, veranschaulicht das, was nun mehr auch von uns Japanwissenschaftlern gründlich zu analysieren und im wortwörtlichen Sinne zu ver-öffentlichen ist.
1. Robert Jungk: Der Atomstaat. Vom Fortschritt in die Unmenschlichkeit. München 1977/1991
2. Ikezawa Natsuki et al (Hg.): Datsugenpantsu shakai o tsukuru30nin no teigen [Vorschläge von 30 Leuten zur Schaffung einer Gesellschaft, die aus der Atomkraft aussteigt]. Tôkyô: Commons, 2011
Steffi Richter
Zuletzt geändert am: 29.08.2011 um 22:31
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