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„Inside report from Fukushima nuclear reactor evacuation zone“ – ein Bericht aus der Evakuierungszone. Wie Jinbô Tetsuo als journalistischer Augenzeuge durch das Katastrophengebiet fährt

Bearbeitet von Robert Fuchs und Miriam Schwarz (Universität Frankfurt) (Juni 2011)


Nach der Dreifachkatastrophe am 11. März 2011 verhängte die japanische Regierung bereits am 12. März aufgrund der hohen Strahlenbelastung eine offizielle Evakuierungszone von 20 km rund um das havarierte Atomkraftwerk 1 in Fukushima. Die Evakuierungszone wurde zu einem späteren Zeitpunkt zum Sperrgebiet  erklärt und der Radius wurde von 20 km auf 30 km erweitert. Seitdem ist das Gebiet zu einem (beinahe) verlassenen Ort geworden.
 
Jinbô Tetsuo, ein japanischer Journalist, fuhr trotz des Verbots der Regierung am 3. April mit seinem Auto und in Begleitung einer weiteren Person in die Evakuierungszone, um die Auswirkungen der Katastrophen auf Kamera festzuhalten. Seine Aufnahmen waren die ersten Einblicke in das Katastrophengebiet.
 
Während seiner Fahrt zum AKW muss Jinbô Tetsuo keinerlei Kontrollpunkte passieren. Sein Weg wird bestimmt durch das beschädigte Straßennetz. Von Tsunami und Erdbeben zerstörte Landstriche wechseln sich ab mit unberührt wirkenden Gebieten. Er fährt durch Wälder und Ebenen, passiert vereinzelte Häuser und durchquert verlassene Dörfer. Menschen sind, außer in den wenigen ihm entgegenkommenden Autos, nicht zu sehen. Die einzigen noch am Ort verbliebenen Lebewesen sind zurückgelassene Kühe und einsame, streunende Hunde. Mittels zweier Strahlenmessgeräte dokumentiert der Journalist in unregelmäßigen Abständen die Auswirkungen des radioaktiven Unfalls. Der höchste Strahlenwert (1,5km entfernt vom AKW 1) wird mit einem Maximum von 112 µSv pro Stunde gemessen.

Quelle:
Inside report from Fukushima nuclear reactor evacuation zone:


(http://www.youtube.com/watch?v=yp9iJ3pPuL8)


Kurz nachdem Jinbô Tetsuo seinen Bericht veröffentlicht, zeigten diverse Nachrichtensender (u.a. CNN und RT) reges Interesse an seinen Erlebnissen.
 
Auf die Frage, warum er die risikoreiche Fahrt in das Katastrophengebiet unternommen habe, antwortete der Journalist, dass eine Vielzahl an Gerüchten bezüglich des gesperrten Gebiets entstanden seien; deren Wahrheitsgehalt habe er klären wollen. Zudem habe er es als seine Pflicht erachtet, als Journalist vor Ort zu sein und sich von den Auswirkungen persönlich ein Bild zu machen. Als Präventionsmaßnahme wurden von ihm lediglich Jodtabletten eingenommen und die Atemwege mit einer Maske geschützt. Auf Schutzanzüge legte er keinen Wert, den sie seien seiner Meinung nach nicht sehr effektiv. Nicht nur die verlassenen Häuser und Straßen wirkten, so Jinbô, auf ihn beängstigend, sondern vor allem die Bedrohlichkeit, die von der ihn umgebenden Radioaktivität ausging: sie sei ohne Geruch, ohne jedes Anzeichen und deshalb könne man auf sie kaum reagieren.
 
Jinbô Tetsuo war der Erste, der nach der Katastrophe in Fukushima aus eigenem Antrieb in das Sperrgebiet gefahren ist. Seine Reportage zeigt beeindruckende Bilder des Katastrophengebiets, zeigt, wie sich die Auswirkungen der Katastrophe darstellen. Durch die Messgeräte lässt sich die radioaktive Strahlenbelastung innerhalb der Evakuierungszone wahrnehmen und der Zuschauer wird Zeuge der nachwirkenden Gefahr des atomaren Gaus.
 
Die Entscheidung in das radioaktiv verseuchte Gebiet zu fahren, war riskant.  Auswirkungen auf die Gesundheit sind nicht völlig einzuschätzen. Dennoch entschied sich Jinbô dafür vom Ort des Geschehens zu berichten und nicht, wie viele seiner Kollegen und Kolleginnen, aus einer sicheren Distanz zu urteilen. Mit dieser Entscheidung nahm er ein gewisses Maß an Gefährdung in Kauf, da er offizielle Sicherheitsvorkehrungen (das Tragen eines Schutzanzugs), wie sie z.B. von den TEPCO (Tôkyô Electric Power Company) Mitarbeitern getroffen werden, bewusst ausschloss.
 
Ist Jinbô ein Anti-Atom-Held? Ein heroischer Aufklärer in Sachen der Atompolitik Japans? Auf Fragen bezüglich der japanischen Regierung bemüht sich Jinbô stets einzulenken. Er äußert sich weder regierungskonform noch kritisch. Er betont jedoch, dass vor seiner Reportage noch keine offiziellen Erkundungen dieser Art stattgefunden hätten. Mit dieser Äußerung unterstreicht er seine Pionierstellung in der Berichterstattung zu Fukushima.
 
Abschließend betrachtet ist die Reportage sehr interessant, Jinbô hat sicherlich wichtige Bilder und Informationen zusammengetragen. Die Frage, ob ihm bei seiner Erkundung der Evakuierungszone Sensationslust nachzusagen sei, bleibt aber bestehen. Sein Entschluss, die Autofahrt zu unternehmen, erfolgte nach eigenen Angaben, aus rein journalistischen Gründen. Als erster Journalist in das Katastrophengebiet von Fukushima zu reisen, bedeutet jedenfalls einen Prestigegewinn für Jinbô und gewährt ihm eine gewisse Vorreiterposition.

Quelle:
Radiation caught on tape: RT talks to Fukushima zone stalker: http://www.youtube.com/watch?v=eNrUShdT_eY

Traveled through radiation zone: http://edition.cnn.com/video/data/2.0/video/world/2011/04/09/nr.radiation.zone.journalist.cnn.html


Profil des (Video-) Journalisten Jinbô Tetsuo 神保哲生

  • 1961 in Tôkyô geboren
  • war in Yokohama in der Schule, nach dem Mittelschulabschluss reiste er im Alter von 15 Jahren nach Amerika
  • New York/ Long Island:  High School
  • Columbia University; kurze Rückkehr nach Japan; International Christian University (ICU), Mitaka
  • Columbia University; Abschluß Masterkurs Journalismus
  • Journalist für die Bostoner Tageszeitung Christian Science und die Monitorzeitschrift
  • Journalist der amerikanischen Presse (u.a. für die Associated Press (AP))
  • seit 1994 selbstständiger Journalist
  • selbstständige Recherchieren/Aufzeichnen von Fotografien und Videomaterial
  • Beginn der Aktivität als Videojournalist; übernimmt alle Arbeitsschritte (Produktion/Bearbeitung) selbst
  • Im April 1996: Jinbô Tetsuo der Repräsentant der gegründeten Nippon Video News (日本ビデオニュース) AG
  • Über 100 Reportagen- und Dokumentationsaufträge, u.a. von TV Asahi „News Station“, von TBS „Chikushi Tetsuya News 23“, von NHK „ETV“, vom amerikanischen Sender ABC und von PBS TV
  • Im Januar 2001 wurde der erste japanische Nachrichtensender im Internet gegründet (videonews.com); J.T. Repräsentant
  • Produzierte Dokumentationen u.a. „Der Weg zum Landminenverbot“ (NHK), „Die Entscheidung der Insel Tuvalu, die in der Erwärmung versinkt“ (NHK)
  • 1998: Großer Preis der Globalen Umweltsituationsreflexion
  • Bücher: „Wie verändert sich Japan durch die Politik von 99, die die Demokratische Partei Japans verspricht?“ (Daiyamondosha), „Landminenreport“ (Tsukiji Shokan), „Die Herausforderung des Videojournalisten“ (Honnoki)
  • Koautor von u.a. „Ein Unglück namens Ständegesellschaft“ (Shunjûsha), „Der Tennô und der japanische Nationalismus“ (Shunjûsha), „American Dystopia“ (Shunjûsha)
  • Übersetzer von u.a. „Alternative Medien- Die Einführung in die Medien der Bürger für eine Reform“ (Ôtsuki shoten), „Der Schaukrieg der Bush-Regierung und die gespenstischen Massenvernichtungswaffen“ (Infobân)
  • Fachgebiete: Internationale Politik, das Problem der globalen Umweltsituation, die Ethik der Massenmedien
  • aktuelle Themen: globale Erwärmung und Problem der Massenmedien
  • gegenwärtig: Nachrichtensprecher der auf videonews.com ausgestrahlten Nachrichtensendung „maru geki talk on demand“(Hitzige Runde - Diskussion auf Anforderung); diese moderiert er zusammen mit dem Soziologen Miyadai Shinji
  • Moderator: asahi-newstar (Journalismus TV/Nachrichten und Reportagen Sender); Sendung „Nachrichtenkommentar・Standpunkt“
  • Radioarbeit: u.a. Nachrichtensprecher der Japan FM Network, Reihe „On the way Journal“
  • Nach der Dreifachkatastrophe am 11. März 2011 fuhr er am 3. April in die von der Regierung angeordnete Evakuierungszone (zunächst 20 km, später auf 30 km erweitert) um das AKW 1 in Fukushima, um dort die Situation mit der  Videokamera festzuhalten
  • sein Material liefert erste Einblicke in das gesperrte Gebiet: leere Häuser und Dörfer, zurückgelassene, streunende Tiere; nur wenige ihm entgegenkommende Fahrzeuge unterstreichen das Katastrophenszenario
  • Der Zuschauer wird Zeuge der Auswirkungen des radioaktiven Unfalls à während der Reportage werden die Werte zweier Strahlenmessgeräte kontinuierlich mitgeteilt; an einer Stelle wird (1,5km entfernt vom AKW 1) der höchste Strahlenwerte von 112 µSv  pro Stunde  gemessen
  • Jinbô Tetsuo hat mittlerweile u.a. mit Miyadai Shinji einen Band mit dem Titel „Jishin to genpatsu. Ima kara no kiki“ (Erdbeben und Atomenergie: Die aktuelle Krise und ihre Folgen) zum Thema verfaßt:
    地震と原発 今からの危機
    神保 哲生 宮台 真司 飯田 哲也 片田 敏孝 小出 裕章【ほか著】
    扶桑社 2011/06/20 出版

Quelle:
http://www.jimbo.tv/profile/

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