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Kurosawa Akiras Vision vom nuklearen Weltenende

Ein Kommentar von Jan-Christoph Müller (Universität Frankfurt) (Juni 2011)


Kurosawa Akiras 29. Film, ein aus acht essayistischen Segmenten bestehendes Episodenwerk mit dem Titel „Akira Kurosawas Träume“ (jap. 夢yume) aus dem Jahre 1990, läutet die letzte Schaffensperiode des Regisseurs bis zu seinem Tod 1998 ein, in welcher er sich im Vergleich zu früheren Werken persönlicheren Themen widmete.

Basierend auf acht Träumen, welche Kurosawa laut eigener Aussage immer wiederkehrend im Laufe seines Lebens hatte, sticht gerade in Anbetracht der derzeitigen Ereignisse um die Probleme im Atomkraftwerk Fukushima Nr. 1 das sechste Traumsegment mit dem Titel „Fuji in Rot“ (赤富士 Akafuji) heraus: Behandelt es doch die Folgen einer unkontrollierten Freisetzung von Radioaktivität aus zerstörten Atomreaktoren und besitzt so als visionäre Vorstellung Kurosawas eine ungeahnte Aktualität.


(„Fuji in Rot“ (赤富士 Akafuji))

Die Hauptfigur der Episode, ein namentlich nicht genannter junger Mann − wie in den restlichen Episoden dürfte es sich auch hier um das Alter Ego Kurosawas selbst handeln – läuft zu Beginn einer in Panik verfallenen, flüchtenden Menschenmenge entgegen, sich selbst darüber im Unklaren, was diese Massenhysterie hervorgerufen haben könnte. Doch schon einen Augenblick später sieht er sich der Wurzel des Unheils gegenüber: Der Berg Fuji scheint ausgebrochen zu sein und übersät das umliegende Land mit Feuersbrünsten. Der junge Mann schließt sich, nun selbst flüchtend, einer jungen Mutter mit zwei Kindern und einem Mann in Anzug an, welcher scheinbar als Einziger den Überblick über die Situation bewahrt hat. Er klärt die Gruppe auf: rund um den Fuji seien insgesamt sechs Atomkraftwerke explodiert, die nun unkontrolliert Radioaktivität freisetzen – penibel genau zählt er die freiwerdenden radioaktiven Isotope samt ihrer jeweiligen Krankheitsfolgen auf. Wie im Folgenden deutlich wird, war er wohl selbst an der Konstruktion der Reaktoren beteiligt. Der Hoffnungslosigkeit ins Auge blickend, wählt er wie seine übrigen japanischen Mitbürger das offene Meer als sein Grab. Japan sei in der Fläche zu klein, um Rückzugsmöglichkeiten zu bieten.

Mit einer Einstellung auf Kurosawas Alter Ego, wie dieser versucht, mit seiner Jacke wedelnd den heranrückenden radioaktiven Gasen Herr zu werden und die Mutter mit ihren kleinen Kindern zu beschützen, endet das Segment abrupt.

Der „Post-Fukushima-Zuschauer“ fühlt sich unweigerlich an die Ereignisse der letzten Wochen in Japan  erinnert, sei es die Entschuldigung des Kernphysikers für das Leid, was er durch sein Vertrauen in die Atom-Technologie mitverursacht hat (vgl. das Verbeugen der TEPCO-Mitarbeiter in unzähligen Pressekonferenzen) oder die Reaktion der Mutter auf die Geschehnisse („Sie sagten uns, Atomkraft sei sicher! Diese Lügner!“), stellvertretend für viele heutige Japaner, die sich nun möglicherweise zum ersten Mal direkt mit dem Thema Atomkraft und deren Folgen für die Bevölkerung auseinandersetzen.

Kurosawa beschäftigt sich in Yume, vermutlich seinem zur Drehzeit hohen Alter geschuldet, intensiv mit den Themen Tod und Sterben, aber auch die in seinen übrigen Filmen immer wieder vorkommenden Topoi wie der Kampf des Individuums gegen eine Übermacht oder sein tief verwurzelter Humanismus, wenn er sich mit erhobenem moralischen Zeigefinger auf die Seite seiner Protagonisten schlägt, klingen an. Kurosawas Bewusstsein, dass sich die Menschheit mit der Atomkraft einer hochgefährlichen Technologie anvertraut hat, setzte dieser bereits in seinem 1955 erschienenen Film „Ein Leben in Angst“ (生き物の記録  Ikimono no kiroku) künstlerisch um. War es damals noch die Angst vor der atomaren Waffentechnik – die Erinnerung an Hiroshima und Nagasaki war noch frisch – klagte der Regisseur in Yume nun also die vermeintlich friedliche Nutzung der Atomkraft an.

Man kann nur hoffen, dass sich Kurosawas Vision nicht bis zum bitteren Ende bewahrheiten wird. 



Literaturverzeichnis:

  • Kurosawa, Akira; Bock, Audie E. (1983): Something like an autobiography. 1. Vintage Books. New York: Random House.
  • Nogami, Teruyo; Carpenter, Juliet Winters; Richie, Donald (2006): Waiting on the weather. Making movies with Akira Kurosawa. Berkeley, Calif: Stone Bridge Press.
  • Prince, Stephen (1999): The warrior's camera. The cinema of Akira Kurosawa., NJ: Princeton Univ. Press.
  • Richie, Donald; Mellen, Joan (1998): The films of Akira Kurosawa. Expanded and updated: New epilogue. Berkeley, California: University of California Press.
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