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Nakazawa Shin’ichi möchte in Japan mit Gleichgesinnten eine „Grüne Partei“ gründen


(Nakazawa Shin’ichi) 

Der bekannte Kulturanthropologe, Religionsforscher und „spirituelle Intellektuelle“ Nakazawa Shin’ichi (61), Direktor des Instituts für Anthropologie der Kunst an der Tama Art University, bereitet im November 2011 neueren Meldungen nach − mit der Agenda des Atomenergieausstiegs – tatsächlich die Gründung einer „Grünen Partei“ vor. Nakazawa, der seit März dieses Jahres bereits mehrere Schriften zur Dreifachkatastrophe von Fukushima verfasst und seine Ansichten auf verschiedenen Foren kundgetan hatte, beabsichtigt nichts weniger als die Erneuerung der japanischen Politik und eine Weichenstellung für eine nachhaltige Zukunft des Landes.


Lisette Gebhardt (Japanologie Frankfurt) (Dezember 2011)


Nachdem das Thema bereits seit Mitte April auf ustream und auf anderen Foren angesprochen worden war, äußerte sich Nakazawa in Interviews der Zeitung Tôkyô Shinbun vom 3. und 6. Oktober 2011 dahingehend, dass er angesichts der Erdbebenkatastrophe in Ostjapan (higashi Nihon daishinzai  東日本大震災), die eine historische Zäsur für Japan bedeute, den Atomausstieg für sein Land und damit verbunden einen grundlegenden Wandel anstrebe. Gedacht sei an eine Vereinigung, die sich ähnlich wie die „Grünen“ (Midori no To 緑の党) im Westen mit alternativen Energien für die Zukunft befasse, die jedoch nicht den gleichen Namen trage und ideologisch auf anderen Vorstellungen fuße als die deutsche Partei.

Die Initiative solle auch nicht die umgehende Gründung einer Partei mit dem Ziel des Einzugs ins Parlament beinhalten, sondern umfasse zunächst die landesweite Vernetzung von Interessierten mit Hilfe des Internets, die Herausgabe einer Zeitschrift und andere vorbereitende Aktivitäten, zu denen die Namensfindung und die Formulierung eines konkreten inhaltlichen Programms gehöre. Beschäftigen wolle man sich auf jeden Fall mit verschiedenen Formen alternativer Energie wie z.B. Sonnenenergie und Energie aus Biomasse (バイオマス). Auf politischer Ebene gelte es, einen Wandel des Systems anzustreben, das bislang einer Wachstumsideologie verhaftet gewesen sei; dazu wäre die Nahrungsmittelversorgung und die Abhängigkeit von Autos zu überdenken. Einer japanischen Politik nach der Erdbebenkatastrophe, die von Schwäche gekennzeichnet sei, müsse man genau jetzt mit einem Netzwerk begegnen, das in der Lage ist, die „Grundbedingungen der Lebensweise im großen Stile zu verändern“ (生き方の根底を大きく変えるネットワークをつくるのは今 しかない).

Mit Vertretern der Initiative „Midori no Mirai“ (Grüne Zukunft みどりの未来) plane die Gruppe um Nakazawa zusammenzuarbeiten – ein Konkurrenzverhältnis soll nach Aussagen der „Grünen Zukunft“ vermieden werden;  „Midori no Mirai“ lässt sich auf die 1993 entstandene „Neue Partei Sakigake“ (umbenannt in Sakigake 1998, aufgelöst im Januar 2002) zurückführen, eine kleine Abspaltung von Abgeordneten der LDP, die Reformen unter anderem beim Umweltschutz beabsichtigte. Der bekannte Schauspieler Nakamura Atsuo中村敦夫(*1940) gehörte als Vorsitzender des Sakigake-Nachfolgers Midori no Kaigi (Grüne Konferenz みどりの会議) von 1998 bis 2004 dem Oberhaus an; auf die „Grüne Konferenz“ folgte die Gruppierung „Grüner Tisch“ (Midori no Têburu みどりのテーブル), dann 2008 der Interessenverband „Grüne Zukunft“ (Midori no Mirai).

In einem Videobeitrag zu seiner im August 2011 erschienenen Publikation Nihon no daitenkan (Japans großer Umbruch) betont Nakazawa, dass man die Diskussion um die Erdbebenkatastrophe und die Frage nach Beibehaltung der Atomenergie nicht allein mit wirtschaftlichen Argumenten führe könne. Man müsse, so stellt er erneut klar, auf der Basis einer innovativen „Energology“ ein weitgreifendes Umdenken in Japan herbeiführen, das die Dinge auf einer „tiefen Ebene“ hinterfragt: Die japanische Gesellschaft, das alltägliche Leben und die zwischenmenschlichen Beziehungen bedürften einer Neubewertung.

Nakazawa greift bei seinen Überlegungen nicht zum ersten Mal auf zivilisationskritische Denkfiguren zurück und bemüht dabei immer wieder das Bild der ungewollten Moderne, die einem Agrarvolk die westliche, aus einer monotheistischen Vorstellungswelt entsprungene Technik aufgezwungen habe. Hier scheint jenseits des politischen Engagements der „spirituelle Intellektuelle“ Nakazawa auf, der seit den 1980er Jahren Alternativen zu einer unwirtlichen Moderne sucht und dabei ein indigenes Japan beschwört.

Stimmen auf Twitterforen kritisieren Nakazawa als findigen Publizisten, als Werbespezialisten in eigener Sache und als ehemaligen Sympathisanten des Religionsführers Asahara Shôkô麻原彰晃 (*1955), andere heißen sein Engagement für eine nachhaltige Zukunft Japans willkommen. 

 



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