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Suzuki Tomohiko berichtet über die Verflechtungen zwischen Yakuza und der Atomindustrie


(Suzuki Tomohiko) 

Der investigative Journalist Suzuki Tomohiko suchte in der Tarnung eines Leiharbeiters das havarierte Atomkraftwerk Fukushima Dai’ichi auf, um die Lage vor Ort zu erkunden – mit speziellem Blick auf die Vermittlung und Instrumentalisierung von Arbeitern für eine Tätigkeit, die zurecht niemand übernehmen möchte.

Mit versteckten Kameras, einer Minikamera an der Armbanduhr, einer Brillenkamera und einer als umhängbares Tabaketui (sinnfällig beschriftet mit den Lettern „Zigaretten“ = tabako) gestalteten Pentax, filmte er die Szenerie. Besonders aufschlussreich ist Suzukis Beobachtung, dass die Firmen mit nuklearem Know How (Toshiba, Hitachi), die in Fukushima assistieren, Arbeiten durchführen, ohne sich gegenseitig über ihre Maßnahmen auszutauschen, ebenso die Beobachtung, dass die Sicherheitsauflagen oft nur kosmetisch angelegt seien. Die Verrichtungen der weiß gekleideten Gestalten auf Suzukis Video wirken ebenso eingespielt wie enigmatisch – kafkaeske Abläufe, über deren Effizienz man nur mutmaßen kann.

Offiziell erklärte Premierminister Noda Yoshihiko am 16. Dezember den Cold Shutdown der Atommeiler Fukushima Dai’ichi/Daini und markierte die Situation damit als „unter Kontrolle“. Suzuki meldet an dieser Darstellung Zweifel an. Er weist darauf hin, dass man auf Regierungsseite nun Gelder zur Bereinigung der Lage kürze, die Vorschläge der Ingenieure ignoriere und sich auch die Massenmedien nun vom Thema Fukushima abwendeten.


Lisette Gebhardt (Japanologie Frankfurt) (Dezember 2011)


Auf die Frage seines Gesprächspartners zu Beginn des Interviews antwortet Suzuki Tomohiko, dass er keine Kinder habe – deshalb, so kann man diesen Dialog interpretieren, sei es ihm möglich, ein so heikles Thema wie die Verflechtungen zwischen Yakuza (Angehörige der japanischen Mafia) und der japanischen Atomindustrie aufzugreifen, ohne Angst haben zu müssen, seine Familie würde sprichwörtlich oder in der Realität in Geiselhaft genommen.  

Der Reporter scheint tatsächlich ein sehr furchtloser Mann mit einem stabilen Nervenkorsett. Im Sommer dieses Jahres ging er das auf verschiedenen Ebenen nicht unerhebliche Risiko ein, als Leiharbeiter im Atomkraftwerk Fukushima I anzuheuern. Suzuki, der sich bereits seit längerem mit dem Wirken der Yazuka in der Gesellschaft beschäftigt, gibt an, das ihn die offizielle beschönigende Darstellung der Ereignisse von Fukushima durch die japanische Regierung und die unklare Informationslage in Bezug auf die am havarierten Meiler Beschäftigten dazu bewogen haben, die Verhältnisse vor Ort mit eigenen Augen zu überprüfen.

Suzuki, der sich von Juli bis August 2011 – bis zur Aufdeckung seiner Identität – über eine Leiharbeitsfirma beim Atomkraftwerke-Hersteller Toshiba verdingte, recherchierte während seiner Tätigkeit bei der Reinigung von verstrahltem Wasser, wie das Anwerben der Arbeiter über in Mafiastrukturen eingebundene Vermittlungsfirmen funktioniert. Er konnte beobachten, wie die Arbeiter, die meist etwa 200.00 Yen pro Tag verdienten, nur mangelhaft über die Gefahren aufgeklärt wurden und wie die ihnen auferlegte Norma, die Vernachlässigung von Sicherheitsstandards herausforderte − eine Taktik, die man Suzukis Meinung nach kalkuliert einsetze, um die Richtlinien zu unterlaufen. Während sich die Arbeiter gegen diese mehr oder weniger subtile Repression kaum zur Wehr setzen könnten, ist die Aussicht auf eine Betreuung, wenn sich ihnen in der Folgezeit Gesundheitsprobleme einstellen sollten, ebenso wenig gegeben wie der verantwortungsvolle Arbeitsschutz.

In den letzten Monaten mussten die Arbeiter verschärfte Schichten ableisten, um den Vorgaben des Cold Shutdown, der für das Jahresende verlautbart worden war, Genüge zu tun. Das offizielle Szenario des Shutdown stehe für eine sich anbahnende Verleugnung der Katastrophe. Dabei seien die medial wirkungsvoll dargebotenen Maßnahmen oft nur als oberflächliche Schadensbehebungen anzusehen, die aus Gründen der Inszenierung vollzogen würden. Über die wahren Ausmaße der nuklearen Katastrophe herrscht nach wie vor Unklarheit, die Informationen hierüber seien unzulänglich und widersprüchlich, verschiedene Akteure, die zum Teil miteinander konkurrierten, lieferten unsichere Daten oder verschleierten absichtlich Befunde. 

„Die japanische Mafia und die Atomindustrie“ folgt dem Beispiel früherer Erkundungen der Arbeitssituation an japanischen Atomkraftwerken, wie sie etwa Horie Kunio ("Genpatsu Gipsy", 1979), Hirai Norio (1939-1997), Higuchi Kenji und Kawakami Takeshi vorlegten (siehe dazu die Übersetzungen/Analysen der Textinitiative Fukushima). Suzukis Recherche, die die erste sein dürfte, die den aktuellen Abläufen im AKW Fukushima I dergestalt nahe gekommen ist, will zeigen, dass das Atomgeschäft letztlich eine schmutzige Angelegenheit darstellt, getragen von zahlreichen Akteuren und Profiteuren – die letzten Glieder in der Kette bilden die „Wegwerfarbeiter“ oder „Atomzigeuner“. Der Cold Shutdown kann aus diesem Blickwinkel eventuell nur als Versuch der Regierung gelten, sich zu rehabilitieren und zur Tagesordnung überzugehen. Der Wiederaufbau in Fukushima, so vermittelt uns Suzuki, ist aber gerade erst am Anfang.


Suzuki Tomohiko 鈴木 智彦 (45), free lance writer, ist Journalist mit dem Spezialgebiet bôryokudan (mafiöse Verbindungen), der bereits mehrere Publikationen über die dunklen Seiten Japans vorgelegt hat. Am 15. Dezember erschien seine Reportage über die atomaren Arbeiter, ihre dubiose Rekrutierung, ihre Ausnutzung und diverse andere Verstrickungen sowie über die desolate Zukunft der Bewohner von Fukushima:

Yakuza to genpatsu. Fukushima Dai’ichi sen’nyûki [Die japanische Mafia und die Atomindustrie. Geheime Reportage über den Meiler Fukushima I]. Tôkyô: Bungei Shunjû.


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