AKW Hamaoka – Das Ego der Einwohner (2)
31.05.2011 08.52 Uhr - KAWAKAMI, Takeshi
Quelle: http://www.janjanblog.com/archives/41974
übersetzt von: Daniel Schölzel (Leipzig)
Ich glaube, es war Ende Januar diesen Jahres, kurz nach Veröffentlichung des Beitrags „Das Ego der Einwohner (1)“, als ich dies hier zu Papier gebracht habe. Das heißt, deutlich vor dem 11. März, als es zur großen Erdbebenkatastrophe im Osten Japans kam. Eigentlich hatte ich vor, diesen Beitrag umgehend zu verfassen, aber es passierten so viele Dinge, dass mir die Veröffentlichung schwer fiel. Außerdem schaffte es „Das Ego der Einwohner (1)“ zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung im Januar nicht einmal in die Top 10 der meistgelesenen Artikel und stieß auf wenig Interesse.
Ich dachte sogar daran, es einfach zu lassen. Gestern hörte ich aber im Fernsehen, wie ein Abgeordneter aus Fukushima im Parlament immer noch seelenruhig behauptete, dass die Kernkraft notwendig sei. Das hat mich unglaublich geärgert. Ich bin der Meinung, dass solche Politiker, die von den Atomkraftkonzessionen leben, Japan in den Ruin treiben. Obwohl ich mir der damit einhergehenden Schwierigkeiten bewusst bin, habe ich mich entschieden, meine Stimme zu erheben. Untenstehend findet sich der gesamte, von mir in dieser Zeit verfasste Aufsatz, ohne dass ich eine einzige Ergänzung gemacht hätte.
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Die Inbetriebnahme von Reaktor 1 fand im März des Jahres 1976 statt. Im folgenden Jahr wurde umgehend mit dem Bau von Reaktor 2 begonnen, für den jedoch kein Ankauf von Baugrund notwendig war. Chūbu Electrics hatte beim Bau von Reaktor 1 ausreichend Land erworben und nun genügte es, sich nur mit den Fischern zu verständigen. Die Einwohner machten ihrem Ärger darüber Luft. Während den Fischern bei jeder Erweiterung des AKWs Entschädigungen gezahlt wurden, erhielten die Bewohner dieses Mal keinen Pfennig. Weil sie der Meinung waren, dass dies ungerecht sei, kochte die Stimmung hoch.
Bei den Einwohnern entstand ein Gefühl, im Ausgleich für die Aufnahme des gefährlichen AKWs eine Entschädigung erhalten zu wollen. Anders gesagt: Erpressung. Als Ansprechpartner für die Verhandlungen mit Chūbu Electrics wurde schon bald der „Rat zur Ergreifung von Maßnahmen gegen das AKW im Bezirk Sakura“ (abgekürzt: REMABS) gegründet. Als der Entwurf zum Bau von Reaktor 3 vorgelegt wurde, schaffte man es bereits, eine ansehnliche Protestbewegung auf die Beine zu stellen. Diese Protestbewegung aber war in ihrem eigentlichen Sinne nicht wirklich gegen den Bau eines neuen Reaktors gerichtet. Gekämpft wurde lediglich um die Bedingung, von Chūbu Electrics Geld zu erhalten .
Als Bedingung für die Akzeptanz des Baus von Reaktor 3 forderte der „REMABS“ die Zahlung von Kooperationsgeld an die Region. Es wird erzählt, dass daraufhin kurz nach dem Beginn des Baus an Reaktor 3 zwei der Vorsitzenden des REMABS am Hauptsitz von Chūbu Electrics in Nagoya vorstellig wurden und Taschen in Empfang nahmen, in denen sich mehrere hundert Millionen Yen befanden. Es heißt außerdem, dass scheinbar mehrere Vorstände dieses Geld bisher herumgereicht und verwaltet haben, es aber nunmehr irgendwohin verschwunden sei.
Jedenfalls wird gemunkelt, dass seither die Betteleien mittels REMABS zur Gewohnheit geworden sind, man bis heute Geld von Chūbu Electrics erhält und gemeinsam viel unterwegs ist. Die Wahrheit ist also, dass eine Handvoll Nutznießer dieser Konzessionen die Sicherheit dieser Region ausverkauft hat und ein großer Teil der gutmütigen Bürger Omaezakis von ihnen an der Nase herumgeführt worden ist.
Auch beim Bau von Reaktor 4 hat der REMABS, der sich als Vertretung der Einwohner ausgibt, Kooperationsgeld eingefordert. Seine Vorstände fuhren erneut zum Hauptsitz Chūbu Electrics und nahmen Beträge in Empfang, die in die hundert Millionen Yen gehen. Wie in „Das Ego der Einwohner (1)“ beschrieben, sollte danach Reaktor 5 gebaut werden, was aber wegen des plötzlichen Kōbe-Erdbebens zunächst gestoppt wurde Als die Anti-AKW-Stimmung unter den Einwohnern zunahm, begann auch der REMABS mit der Protestfraktion zu sympathisieren .
Doch war ihr Verhalten trotz lautstarker Ablehnung des Baus von Reaktor 5 letztlich nur vorgetäuscht. In ihrem Standpunkt stimmten sie mit dem Ausbau der Atomkraft überein. Solange die Abhängigkeit von der Atomkraft besteht, würden auch riesige Geldbeträge in ihre Taschen rieseln. Damit sind sie im Grunde genommen darauf angewiesen, dass der Ausbau ununterbrochen fortgesetzt wird.
Das Vorgehen von REMABS war insofern geschickt, als niemand von außen zur Unterstützung [des Protests] hereingelassen wurde. Unter dem Motto „Keine Truppen von außen reinlassen!“ wurden Unterstützergruppen kaltblütig/gnadenlos ausgeschlossen, wenn diese sich beteiligen wollten. Ihre Protestbewegung hatte nur den Zweck, die eigene Stellung gegenüber Chūbu Electrics zu verbessern, weshalb sie unbedingt erreichen mussten, dass ihnen der Reaktor 5 gebaut wird.
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Vor etwas mehr als zehn Jahren kandidierte einer der zahlreichen Vorkämpfer unter den Einwohnern mit Unterstützung der Anti-AKW-Fraktion und errang einen aufsehenerregenden Wahlsieg. Auf diesem Herrn H, damals in den Vierzigern, lagen die Hoffnungen der Protestfraktion und er zog in den Kampf im Stadtrat. Kühn hat er dem Stadtrat, der Chūbu Electrics hörig und längst verdorben war, eine schriftliche Herausforderung um die Ohren gehauen. Doch kaum zwei Monate, nachdem er Abgeordneter geworden war, lief er eiligst von der Protestfraktion zu den Befürwortern der Atomkraft über.
Es war die Aufgabe eines Veteranen unter den Abgeordneten gewesen, diesen Neuling, der die Wahl gewonnen hatte, weil er die Position der AKW-Gegner klar vertrat, dazu zu bringen, dass er sich verführen lässt. Reichlich einen Monat nach Antritt seiner Abgeordnetenstelle wurde Herr H offenkundig von einem angesehenen konservativen Stadtabgeordneten eingeladen, ihn auf seiner Groß-Jacht auf das offene Meer hinaus zu begleiten. Obwohl man eigentlich nur vor gehabt hatte, zu fischen und ein wenig im Meer umher zu fahren, befanden sich auf der Jacht bereits mehrere vorher zugestiegene Gäste. Es handelte sich dabei um philippinische Frauen, die von diesem konservativen Abgeordneten angeheuert worden waren.
„Ihr habt gut reden, es ist so schwer, sich im Stadtrat mit einem Widerspruch durchzusetzen...“ soll sich der Abgeordnete weinerlich für sein billiges Überlaufen gerechtfertigt haben. „Sehr schwer“ – damit meint er wohl die Schwierigkeit, der Versuchung der exotischen Filipinas standzuhalten, zumal unter Druck eines älteren Abgeordneten. Außerdem hatte es auch einen finanziellen Reiz. In der Folge des beschriebenen Vorfalls erhielt der Abgeordnete H als Geschenk von Chūbu Electrics einen nicht unerheblichen Betrag von, wie man hört, 7.000.000 oder 8.000.000 Yen. Mit anderen Worten: Er nahm Bestechungsgeld entgegen.
Ich denke schon, dass Bewohner der AKW-Standorte, die als brave Musterschüler gelten, im Grunde ihres Herzens Angst vor dem Atomkraftwerk haben. Unter ihnen gibt es sicher niemanden, der nicht schon einmal die Furcht vor einem Atomunfall empfunden hat. Dies trifft wohl genauso auf die Mitarbeiter von Chūbu Electrics mit ihren wiederholten aggressiven Verlautbarungen zu; auf das städtische Personal und die das AKW befürwortenden Stadträte; sowie im Grunde ihres Herzens wohl auch auf die Leute vom REMABS. Sie alle fürchten sich vor der Strahlung. Und in Wirklichkeit wünschen sich die meisten Einwohner eine AKW-freie Stadt.
Trotzdem empören sie sich nicht. Manche fürchten Ärger mit den Befürwortern. Und manche Bewohner „fürchten mehr noch als die Strahlung, eine Verschlechterung der zwischenmenschlichen Beziehungen“. Einige meinen auch: „Die Sicherheit und die Zukunft der Stadt sind schon auch wichtig, aber mich so laut wehren, dass das Verhältnis mit den Nachbarn Schaden nimmt, nein, das kann ich nicht. Und Chūbu Electrics sagt doch, dass das AKW einem Erdbeben standhält.“ Viele der Bewohner haben keinerlei konkretes Wissen, und es gibt tatsächlich welche, die den Beteuerungen Chūbu Electrics Glauben schenken, dass „Strahlung auf keinen Fall austritt“.
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Itō Minoru vom Verein “Nachdenken über das AKW Hamaoka“ zufolge werden Personen, die sich gegen das AKW positionieren, auf verschiedene Weise unter Druck gesetzt. Schon vor einiger Zeit führte dieser Verein eine Vortragsveranstaltung durch und lud hierzu Fujita Yūkō, Assistenzprofessor an der Keiō-Universität, als Redner ein. Prof. Fujita ist einer, der als Wissenschaftler schon immer auf die Gefahren von Atomkraftwerken, wie zum Beispiel die Verstrahlung von Arbeitern im AKW Hamaoka, hingewiesen hat. Alle Teilnehmer der Veranstaltung wurden durch Chūbu Electrics überprüft.
Itō Minoru sagt dazu: „Es waren auch einige Betreiber von Restaurants und Bars da. Chūbu Electrics hat seinen Mitarbeitern daraufhin verboten, diese Geschäfte zu betreten. So aber können die sich nicht mehr über Wasser halten. Das heißt, dass es mit Blick auf das Geschäftliche schwierig ist, seine Meinung kund zu tun, auch wenn man selbst gegen das AKW ist. Sie haben Angst davor, auf die schwarze Liste von Chūbu Electrics zu kommen.“
Darüber hinaus sind viele Leute auf eine mit dem AKW Hamaoka in Verbindung stehende Arbeit angewiesen, um ihre Familie zu versorgen. Schon allein dadurch ist die lokale Wirtschaft ohne das AKW Hamaoka nicht mehr denkbar. Für die Bürger Omaezakis ist die Anwesenheit des AKWs von unglaublicher Bedeutung und die Abhängigkeit der Einwohner sehr groß. Damit halten leider auch die ihren Mund, die dem AKW gegenüber ehemals eine kritische Haltung vertraten und protestierten. Sie mussten den Protest aufgeben, um zu überleben.