Katayama Kyôichi
"Wiederinbetriebnahme des AKW Genkai - Die Welt kehrt sich von Japan ab"
Original: Asahi shinbun, 4. Juli 2011, S. 11
Übersetzung von Raji C. Steineck (Juli 2011)
(Katayama Kyôichi) |
Der Gouverneur der Präfektur Saga hat sich dahingehend geäußert, dass er die Wiederaufnahme des Betriebs der gegenwärtig heruntergefahrenen Reaktoren 2 und 3 im AKW Genkai gestatten will. Aber die Frage, was mit einem AKW geschehen soll, übersteigt nach meiner Ansicht weit den Entscheidungsbereich der Vorsteher regionaler Selbstverwaltungen.
Nun lebe ich zufällig auch in der "Region", in Fukuoka, aber damit hat das erst einmal gar nichts zu tun. Vielmehr geht es mir darum, dass nach einer so großen Havarie jetzt an allen Orten die AKWs nach und nach wieder in Betrieb genommen werden - dass Japan also wieder in die gleiche Lage wie vor dem Unfall zurückkehrt. Das macht mich traurig.
Die einmal produzierte Radioaktivität kann der Mensch nicht wieder auslöschen. Die radioaktive Strahlung breitet sich über den ganzen Erdball aus, und wird so, ob man es will oder nicht, zu einer gemeinsamen Angelegenheit der ganzen Menschheit. Radioaktive Strahlung, die auf den Unfall in Tschernobyl zurückgeht, ist auch in allen Gegenden Japans nachweisbar.
Diesmal hat Japan das Gleiche getan - und während die Menschen im Ausland voll Mitgefühl ihrer Hände zur Unterstützung der Erdbebenopfer ausgestreckt haben, sieht die Welt mit strengen Blick auf den Atomunfall und die Entwicklungen danach. Noch ist kein Ende der Havarie in Sicht. Wenn in dieser Lage nun die einstweilen außer Betrieb genommenen AKWs wieder hochgefahren werden, wird Japan das Vertrauen der internationalen Gemeinschaft wohl endgültig verspielen.
Es ist leicht, TEPCO und die Regierung zu kritisieren. Natürlich ist es wichtig, den Vorfall zu untersuchen und deutlich zu machen, wo die Verantwortung dafür liegt. Aber noch wichtiger dürfte es doch wohl sein, dass jeder einzelne im Staatsvolk jetzt intensiv nachdenkt und seine Einstellung zur Atomkraft deutlich zum Ausdruck bringt.
Es gab schon früh diverse Wissenschaftler, die vor der Gefährlichkeit der AKWs warnten. Aber ich sehe deutlich, dass auch mir selbst bis zu den jetzigen Ereignissen die wahre Sachlage überhaupt nicht bewusst war. Ich finde es falsch, die gegenwärtige Bewegung gegen die Atomkraft bzw. für den Ausstieg als vorübergehende Hysterie zu bezeichnen. Gerade jetzt kann das Volk, das Nutznießer wie Geschädigter ist, ein klares und objektives Urteil über die Kernenergie fällen.
Ich glaube nicht, dass die Entwicklung und weitere Forschung zur Atomkraft an sich ein Fehler war. Was jetzt in Frage steht ist die Politik, in einem engen Land mit häufig auftretenden Erdbeben mehr als fünfzig Kernkraftwerke zu bauen und mit ihnen die Stromversorgung im Lande zu bestreiten. Der Betrieb von Kernkraftwerken war in Japan länger als ein halbes Jahrhundert nationale Politik. Wenn diese Politik falsch gewesen ist, dann ist es doch wohl unsere Sache als Staatsbürger, sie jetzt zu berichtigen.
Gerade jetzt wäre es wichtig, auf der Basis einer allgemeinen Wahl die Haltung Japans nach innen und außen klar zu signalisieren. In Bezug auf die Atomkraft würde das bedeuten, dass wir, jeder Einzelne von uns, jetzt die Verantwortung übernähmen. Selbst angenommen, das Staatsvolk entschiede sich jetzt pro Kernenergie, würde es damit die Verantwortung für ihre Sicherheit tragen.
Der Autor Katayama Kyōichi 片山 恭一 (5. Januar 1959) wurde in der Präfektur Ehime geboren; er ist Absolvent der Universität Kyūshū. Bekannt wurde er für den Bestseller 世界の中心で、愛をさけぶ / Sekai no chūshin de, ai wo sakebu (2001; Das Gewicht des Glücks, engl. Socrates in Love), eine tragische Liebesgeschichte im Format des amerikanischen Filmmelodrams Love Story (1970): „Das Gewicht des Glücks“ fand im Multimediamix Weiterverwendung. Sein erstes Werk, das der literarischen Tradition der „hohen Literatur“ (junbungaku) verpflichtet war, trägt den Titel Kehai (Anzeichen).